Aufbruchsstimmung an den Theatern Hamburgs

 

Die Spielzeitankündigungen des Thalia, Ernst Deutsch und Atonaer Theater im Überblick

 

Von Heinrich Oehmsen

 

Herkunft © Fabian Hammerl

Internationale Zusammenarbeit wurde im Thalia Theater immer großgeschrieben. Wegen der Corona-Pandemie war dieser Austausch und dieser Blick nach außen nicht möglich wie auch der gesamte Theaterbetrieb heruntergefahren werden musste. Insgesamt neun Monate war die Bühne geschlossen. Doch hinter den Kulissen wurde eifrig geprobt und optimistisch an neuen Projekten gearbeitet. Als Intendant Joachim Lux jetzt den Spielplan für die Saison 2021/22 vorstellte, konnte er neun Regisseur*innen ankündigen, die nicht aus dem deutschen Sprachraum kommen, darunter den russischen Regie-Star und Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares Gewinner 2019 Kirill Serebrennikov, der die Tschechow-Erzählung „Der schwarze Mönch“ auf die Bühne bringen wird. Zum ersten Mal in Hamburg wird der Japaner Toshiki Okada im Januar in der Gaußstraße sein Stück Doughnuts inszenieren. Im Haus am Alstertor hoffen die Verantwortlichen außerdem, dass sich die Visa-Probleme von Amir Reza Koohestani möglichst schnell lösen, denn er soll Anna Seghers’ Exil-Roman Transit für das Theater umsetzen.

Lux machte auch deutlich, dass man sich nicht mit der Pandemie beschäftigen wolle. „Wir wollen das Leben feiern“, sagte er. Die kommende Spielzeit haben er und das Dramaturgie-Team unter Julia Lochte unter das Motto Celebration of Life gestellt. 19 Premieren wird es insgesamt am Alstertor und im Thalia in der Gaußstraße geben, acht dieser Stücke waren bereits für die jetzt auslaufende Saison geplant. Mit Pippi Langstrumpf und der Uraufführung von Dörte Hansens Mittagsstunde sind dem Thalia Theater kurz vor den Theaterferien noch zwei richtige Kracher gelungen. Zurückkehren wird in der nächsten Saison ein alter Bekannter: Michael Thalheimer, der mit seiner Liliom-Inszenierung vor gut 20 Jahren einen kleinen Theater-Skandal bescherte, weil ein Alt-Bürgermeister wild fluchend das Parkett während der Premiere verließ, wird sich Schillers Die Räuber vornehmen.

Eröffnet wird die nächste Spielzeit am Thalia Theater am 21./22. August mit gleich zwei Premieren. Im großen Haus läuft am 21. Shockheaded Peter nach Motiven des Struwwelpeters. Gemeinsam mit der britischen Band The Tiger Lilies werden Peter Jordan und Leonhard Koppelmann die Zuschauer*innen in surreale Horror-Welten führen. Das Regie-Duo hat in der Vergangenheit für das Thalia bereits Spektakel wie Dumas’ Die drei Musketiere und Jules Vernes In 80 Tagen um die Welt herausgebracht. Im Thalia Gaußstraße beschäftigt sich die erste Premiere mit Herkunft, einem Roman des in Hamburg lebenden Schriftstellers Saša Stanišic. Sebastian Nübling wird die Theaterfassung unter anderem mit den Theaterpreisträger*innen Sebastian Zimmler und Lisa Hagmeister inszenieren. Auch ein neues Herzzentrum wird es am 29. August geben. In den Texten von Navid Kermani geht es dieses Mal um die Schönheit. Jette Steckel wird die Lesereihe auf der Alster und bei Bobby Reich einrichten. Die Fähigkeit, rudern oder paddeln zu können, ist keine Voraussetzung, aber hilfreich.

Das komplette Programm für die Spielzeit im Thalia Theater gibt es hier.

 

Leonce und Lena © Oliver Fantitsch 

Auch das Ernst Deutsch Theater (EDT) sieht einer spannenden Saison entgegen, denn in der nächsten Spielzeit werden 70 Jahre EDT gefeiert. Intendantin Isabella Vértes-Schütter freute sich bei der Spielplan-Konferenz besonders über die Zusage von John Neumaier, zum Saisonabschluss ein Stück gemeinsam mit dem Bundesjugendballett zu konzipieren und die Regie zu übernehmen. Es wird Die Unsichtbaren heißen und zeigen, unter welchen schwierigen Bedingungen Tänzer*innen unter dem Nationalsozialismus leben mussten. Viele jüdische Künstler*innen mussten ins Exil gehen oder wurden in Konzentrationslager deportiert und ermordet. In den 20er-Jahren hatte Deutschland noch eine Blüte auf der Tanz-Szene erlebt, in vielen Choereografien spiegelte sich ein offenes Weltbild, das von den Nazis 1933 jäh zerstört wurde. Zusammen mit jungen Choreografen wird Neumeier das Stück einstudieren, die Bühne gestaltet Peter Schmidt. Parallel zu den Aufführungen soll eine Begleitausstellung die Opfer und Verfolgten aus der Welt des Tanzes würdigen.

Vértes-Schütter und ihr Team haben ein spannendes Programm zwischen Klassikern, modernen Stücken und Komödien geplant. Mona Kraushaar, die am EDT unter anderem Schillers Maria Stuart inszeniert hat, wird im März 2022 Don Carlos herausbringen. Auch ihre Inszenierung von Büchners Leonce und Lena, die nach der Premiere im März 2020 nur noch einmal gespielt werden konnte, wird wieder aufgenommen und eine Woche lang gespielt. Der ehemalige Tatort-Ermittler Boris Aljinovic konnte für die Titelrolle von Anton Tschechows Onkel Wanja verpflichtet werden (Premiere 21.4.22), die mit einem Rolf-Mares-Preis ausgezeichnete Anika Mauer wird die Hauptrolle in Simon Stephens’ Familiendrama Harper Regan (20.1.2022) spielen, und mit Gila von Weitershausen ist ein weiter Film- und Fernsehstar wieder einmal auf der Bühne zu erleben. Am 7.Oktober feiert sie Premiere in Richard Alfieris schwungvollen Sechs Tanzstunden in sechs Wochen. Ein aberwitziges Stück ist Brandon Thomas’ Komödie Charleys Tante. Mit diesem Verwechslungsspaß geht das EDT in die Weihnachtszeit (Premiere 25.11.) und hat damit auch einen richtigen Kracher für den Silvester-Abend.

Eröffnet wird die Jubiläumsspielzeit am 19. August mit Träum weiter von Nesrin Samdereli, die unter anderem die Drehbücher für Almanya und Türkisch für Anfänger geschrieben hat. Ihr Theaterdebüt ist eine Komödie über die Fallstricke des Familienlebens und das Nachdenken über stereotype Geschlechterrollen. Die Theatermusik wird F.M. Einheit komponieren, der früher Schlagwerker bei der Avantgardeband Einstürzende Neunbauten war.

Das komplette Programm des Ernst Deutsch Theaters gibt es hier.

 

Auch das Altona Theater rüstet sich für die kommende Saison und einem abwechslungsreichen Programm. Intendant Axel Schneider wird die Spielzeit mit einem sogenannten „offenen Ensemble“ bestreiten, zu dem zwölf Schauspieler*innen und Regisseur*innen gehören, die regelmäßig spielen und inszenieren werden, um dadurch eine bessere Kontinuität zu erreichen. Ein Höhepunkt der nächsten Spielzeit wird die Aufführung von Olympia werden. Das ist der achte und letzte Band in den Erzählungen von Volker Kutscher, die als Fernsehserie Babylon Berlin riesige Aufmerksamkeit erzielten. Da aber nur Kutschers Romane bis zum Jahr 1933 verfilmt werden, ist die Erzählung über einen Kriminalfall während der Olympischen Spiele 1936 in Berlin für das Theater frei geworden. Schneider schreibt die Theaterfassung selbst und wird den Stoff dann auch inszenieren.

Auch die Inszenierung von Joachim Meyerhoffs autobiografischen  Romanen geht weiter. Als nächstes wird Alle Toten fliegen hoch - Amerika auf der Bühne in Altona zu sehen sein, mit dem Meyerhoffs Tetralogie begann. Darin beschreibt er seine Zeit als Austauschschüler in den USA und erfährt vom Tod seines Bruders. Auch die andere Teile Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war und Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke werden vor der Premiere des Amerika-Stoffes wieder aufgenommen. Wegen der Corona-Pandemie musste die Premiere bereits zweimal verschoben werden, bis zur Hauptprobe hatte das Ensemble es immerhin geschafft, dann kam der Lockdown. Der neue Premierentermin ist der 8. Mai 2022.

Im Spielplan für 2021/22 finden sich ein paar  Klassiker wie Friedrich Dürrenmatts düsteres Kriminaldrama Der Richter und sein Henker oder Thomas Manns Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull sowie eine Neu-Inszenierung von Peter Pan, das in der Vorweihnachtszeit laufen wird. Ebenso wie das Thalia Theater beginnt auch das Altonaer Theater die Saison mit einem schrill-bunten lebensbejahenden Stück. Am 12. September feiert das Musical Hair Premiere im Haus an der Museumstraße. Joseph Dieken hat die Flower-Power-Story mit den berühmten Songs wie Aquarius und Let The Sunshine In in ein neues aktuelles Konzept gepackt, das nicht an Konsumkritik spart und Aufbruchstimmung transportieren will. Genau das, was alle Theater nach der schmerzvollen Zwangspause durch die Pandemie ihrem Publikum wieder vermitteln wollen.

Das komplette Programm des Altonaer Theaters gibt es hier.

 

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